A universal film dictionary

German, Series

DEUTSCHER: Eine Filmwissenschaftliche Vorstellung

Die Erkenntnis, dass die Dramatisierung vergangener Konflikte ein probates Mittel zur ideologischen Nivellierung der gegenwärtigen darstellt und sich, wie schon Siegfried Kracauer bemerkte, gemeinhin,

…der Mut der Film direkt proportional mit dem Quadrat der Annäherung an die Gegenwart …

Siegfried Kracauer, Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino.

ist längst zum kritischen Allgemeinplatz geworden, ebenso wie die Tatsache, dass es die in aller Regel dystopischen Zukunftsentwürfe etwa der Science-Fiction in nicht unähnlich gegenwartsaffirmativer Weise erlauben, deren Missstände zwar vordergründig kritisch, aber doch aus unverbindlich-sicherer Distanz weiter- und so auch ein Stück weit wegzudenken. Wie verändern sich aber nun diese Dynamiken bei einer Annäherung an das Jetzt von seiner unmittelbaren Zukunft her, welche lediglich einen kleinen, aber signifikanten historischen Schritt oder sogar nur eine Gewichtsverlagerung im aktuellen weitergeht und so nicht nur die Gegenwart stets im Blick behält, sondern diesen damit zugleich für deren subtilste Veränderungen schärft?

DEUTSCHER (ZDF, 2020)

Ein aufschlussreiches Fallbeispiel für Potenzial und Grenzen einer solchen Nahzukunftsdystopie liefert die ZDF-Miniserie DEUTSCHER (R: Sophie Linnenbaum & Simon Ostermann, DE 2020), deren narrativer Rahmen sich schnell aufspannen lässt: Obwohl das liberale Akademikerpärchen Schneider – französische Philosophie im Bett und Biokost auf dem Tisch – und die konservative Handwerkerfamilie Pielcke – viel Fleisch auf dem Grill und wenig Verständnis für Gutmenschengelaber – seit Jahren direkte Nachbarn irgendwo in Deutschland sind und lose Bekanntschaft pflegen, ist es doch vor allem die Freundschaft der beiden auf die selbe Schule gehenden Söhne David und Marvin, die eine Verbindung zwischen den ungleichen gesellschaftlichen Sphären herstellt und dabei, wie Christoph Schneider einmal treffend bemerkt, ohne deren Aufwachsen Garten an Garten kaum vorstellbar wäre.

*Screenshots können nur für Bildungszwecke verwendet werden

Nachdem nun erstmals eine offen rechtsnationale Partei die Regierungsmehrheit erlangt, entladen sich die unterschwelligen Spannungen nicht nur in einer Verschär- fung alltäglicher Konflikte wie der Auseinandersetzung mit übergriffigen Schulhof-Gangs oder Frank Pielckes geschäftlichen Expansionsplänen, sondern auch in zunehmend gewalttätigen Eskalationen wie einem Brandanschlag auf das Familiengeschäft von David Schneiders türkischstämmiger Freundin Cansu oder einem brutalen Angriff auf Eva Schneiders ebenfalls türkischstämmigen Kollegen Burak, dem bereits eine Zuspitzung rassistischer Diskriminierung am Arbeitsplatz vorausgegangen war.

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Dabei versteht sich DEUTSCHER jedoch keineswegs als stilisierend-abstrahierende Parabel, sondern erzählt vorwiegend im Modus einer realistischen Familienserie, in dessen Rahmen die Pielckes und Schneiders keine maximal kontrastierend zugespitzten Extreme markieren, sondern als konträre Pole fungieren, die aus einem gutnachbarschaftlichen Konsens der Gemäßigtheit heraus Verbindungen in die Sphären der Opfer des hier inszenierten gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks (Cansu & Burak) bzw. dessen Gesinnungsgewinnlern (Frank Pielckes deutlicher rechtsnational ein- gestellter Lehrling Olaf und dessen Vater Günter) eröffnen.

Nicht zuletzt auch aufgrund dieser dramaturgischen Erdung lässt sich dabei in der Inszenierung der Serie in mindestens zwei entscheidenden Hinsichten ein Verhältnis der unaufgelösten Spannung bzw. der Schwebe zwischen Gegenwartskontinuität und spürbar hypothetisierender Verfremdung bzw. Fiktionalisierung ausmachen. So ist erstens die konsequente Anonymisierung bzw. Aussparung jeglicher institutioneller Eigennamen zu bemerken, sei es in der unbestimmten Rede von „den Volksparteien“, den Bildern von jeder Parteizuordnung beraubten Wahlplakaten oder selbst in der Schriftart-Ästhetik der betont generischen Namen von Geschäften wie „Sonnenapotheke“ oder „Burger & More“.

Dies verleiht dem Setting zwar durchaus – wie offenkundig intendiert – eine gewisse Überzeitigkeit und Universalität, jedoch operiert DEUTSCHER gleichzeitig mit maximal konkretisierenden Elementen wie etwa dem Schlagwort der „Lügenpresse“, der charakteristisch an „meine Freunde“ adressierten Rede eines Vertreters der rechtsnationalen Regierungspartei oder sogar der namentlichen Nennung Merkels in einem Instagram-Kommentar und bindet sich angesichts des vordergründigen universalisierenden Gestus’ in gewisser Weise so nochmals stärker an die politische Gegenwart als Verstehenshorizont.

Zweitens – und entscheidender – hinsichtlich der vielgestaltigen Ambivalenzen im Verhältnis der konkreten narrativen Entwicklungen und der sie grundierenden veränderten politischen Situation, welches zwischen einer Überbetonung und der weitestgehenden Ausblendung letzterer changiert.

So belaufen sich etwa deren konkret-legislative Auswirkungen strenggenommen lediglich auf eine am Rande erwähnte staatliche Handreichung zum „selbstbewussten Umgang mit der deutschen Geschichte“ an der von David und Marvin besuchten Schule, an welcher Christoph Schneider als Politiklehrer arbeitet (selbst der im Lehrerzimmer kontrovers diskutierte Vorschlag der Trennung der Klassen nach Religionszugehörigkeit wird hier als vom Schülersprecher eingebracht gerahmt); viel eher wird die epochale politische Wende als unterschwelliger Bewusstseinswandel mit der Konsequenz inszeniert, dass sich nun etwa für Alltagsrassismus in der Apotheke etwas weniger geschämt zu werden braucht.

Ein spürbarerer Ausdruck dessen wird dabei zumeist in die narrative Peripherie verlagert, sei es in der unkonkreten Beschwörung dessen, „was gerade im Rest des Landes passiert“, der keinerlei Dramatisierung jener Ereignisse korrespondiert, oder in den unadressiert bleibenden Instagram-Kommentarspalten, in welchen sich bei genauerem Hinsichten dann jedoch eine erdrückende Mehrheit unverhohlen rassistischer Hate Speech durch Benutzer mit Namen wie WWIIFAN88 und Deutscher Jung findet.

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Als auffällig und den Charakter der Serie am stärksten prägend erweist sich bei alledem jedoch das Gefühl einer dem Großteil der hier ausgestalteten Konflikte innewohnenden Kontinuitätzur als Kontrastfolie implizierten Gegenwart.

So schließt etwa die Rhetorik von „Es ist kein Geheimnis, dass es in unserem Land gerade brodelt“ oder „Es ist gut möglich, dass wir kurz vor einer Art Aufstand stehen“ seitens eines Lehrerkollegens Christian Schneiders qualitativ nahtlos an zeitgenössische Praktiken rechtspopulistischer Agitation an; auch die motivgeschichtlich wohlbekannte übergriffige Respektlosigkeit der Gruppe Jugendlicher, die Cansus Familie in ihrem Restaurant öffentlich demütigt, scheint sich hier gewissermaßen lediglich ein neues, nunmehr rassistisch gefärbtes Sujet gesucht zu haben, und selbst einschneidende Momente wie die Untätigkeit der Polizei nach dem Brandanschlag oder dem Angriff auf Burak präsentieren sich als nicht strukturell verändert, sondern gleichsam bloß anders kontextualisiert.

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Ohne DEUTSCHER damit eine eindeutige ideologische Wertigkeit zuweisen zu wollen, ließe sich somit die sich im Wechselspiel von betonter Gegenwartskongruenz und gleichzeitig vordergründiger Verfremdung eher als Alternate-History-Szenario denn als genuine Zukunftsvision ausnehmende These der Serie im Gesamtblick also etwa wie folgt zuspitzen: Selbst ein politischer Pa- radigmenwechsel wie die Wahl einer rechtsnationalen Partei in die Regierungsverantwortung würde bestehende Macht und Unterdrückungsverhältnisse, systemischen Rassismus und ähnliche strukturelle Missstände, aber auch die unvermeidlichen Konflikte des Alltags nicht zu einem solchen Grad verändern, dass eine Besinnung auf Qualitäten nachbarschaftlicher Solidarität und familiären Zusammenhalts ihrer nicht nach wie vor Herr werden könnte; alles wäre eben nur noch ein klein wenig – deutscher.

Autor: Felix Breidel, Freie Universität Berlin

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