Der ZDF-Spielfilm Venus im vierten Haus, welcher am 7. Juni 2020 erstmals im Fernsehen ausgestrahlt wurde, erzählt von der geschiedenen Lektorin Gitti Kronlechner, gespielt von Adele Neuhauser, die bei einem Survival Camp in der Natur lernt, sich wieder dem Leben zu öffnen.
Die Interesse an diesem Film gebührt vor allem Josephine Dolans Arbeit, da sie in mehreren Publikationen das Verhältnis von Hollywoodkino, Performance und dem Altern weiblicher Stars erforscht. Ihre Beobachtungen diesbezüglich lassen sich jedoch ebenso gut auf das deutsche Kino und Fernsehen übertragen. Während männliche Schauspieler ihre Karrieren oft bis ins hohe Alter fortsetzten können, verschwinden postmenopausale Frauen filmgeschichtlich viel häufiger von der Leinwand oder treten tendenziell eher in Nebenrollen auf. Zwar spricht Dolan mit Blick auf die letzten 20 Jahre von einer positiven Entwicklung hin zu einer „new visibility“ älterer weiblicher Schauspielerinnen, nicht aber ohne darauf hinzuweisen, dass diese neue Sichtbarkeit zugleich auch an weitere Schönheitsideale und Normen gekoppelt ist. Mithilfe von Dolans Konzept des „pathological gaze“ wird im Folgenden kurz die widersprüchliche Darstellung von Gittis Figur diskutiert.
Was an der ZDF-Neuausstrahlung positiv überrascht, ist die Tatsache, dass Gitti einerseits als sexuell aktiv gezeigt wird und andererseits ihr neugefundenes Glück nicht von Männern und einer monogamen Beziehung abhängig gemacht wird. Zu Beginn des Films sieht sich Gitti ungewollt mit ihrer unterdrückten Einsamkeit konfrontiert, als ihre beiden besten Freundinnen sich neu verlieben und der Plan einer gemeinsamen WG damit zerbricht. Hinzu kommt, dass ihr Ex-Mann (und Chef) und der gemeinsame Sohn eine Doppelhochzeit mit ihren neuen, gleichaltrigen und noch dazu schwangeren Partnerinnen planen. Ermutigt durch ihr Horoskop, das ihr aufgrund einer „Venus im vierten Haus“ dazu rät, mutig neue Wege zu gehen, vertritt Gitti dann ihre Freundin bei einem Survival Camp für Fortgeschrittene. Nach und nach gewinnt sie durch ihre Schlagfertigkeit die Anerkennung der anderen Teilnehmer*innen und macht eine sexuelle Erfahrung mit dem verheirateten Gregor [Michael Roll]. Die Zuschauenden sehen nicht nur diese Szene, sondern auch einen vorherigen sexuellen Traum von Gitti, der ihre Sehnsüchte erkenntlich macht. Und solch eine explizite Darstellung weiblicher Sexualität ist tatsächlich nicht immer eine Gegebenheit, wenn es um ältere weibliche Figuren geht. Auch Dolan bestätigt: „Mostly, older female stars are cast in roles where their sexuality is repressed in some way.” Im Gegensatz dazu werden Gittis Verlangen und ihre Sorgen diesbezüglich einfühlsam, unverhüllt und respektvoll erzählt. Im letzten Bild des Filmes tanzt und flirtet Gitti auf der Hochzeit wieder strahlend mit einem Verlags-Klienten, ohne sich dabei gleich heteroromantisch zu binden. Es geht vielmehr symbolisch darum, dass sie wieder tanzt.
Im Kontrast zu dieser recht fortschrittlich anmutenden Darstellungsweise verordnet der Film jedoch zugleich eine Blickstruktur, die der narrativen Identifikation mit Gitti im Weg steht und ihren Körper als normabweichend repräsentiert. Dolan nimmt in ihrem Essay Bezug auf Foucaults Werk The Birth of the Clinic (1973), indem er betrachtet, wie die Untersuchung eines Patienten immer dadurch strukturiert ist, dass der Arzt durch sein Vorwissen von normalen, gesunden Körpern Zeichen der Abnormalität auf dem Körper des Patienten sucht. Eben diesen pathologischen, nach Abweichung und Krankheit suchenden Blick stellt Dolan mit der Perspektive gleich, durch die im Hollywood-Film auf ältere Schauspielerinnen geblickt wird:
“This is a gaze that pathologizes the body of the older female star through its knowledge of a youthful norm that enables the signs of aging to be recognizable and readable; and these signs are constituted as symptoms of abnormality.”
Josephine DOLAN
Zwar steht Gitti im Mittelpunkt dieser Geschichte, dennoch schein sie auch die älteste Figur darin zu verkörpern. Es werden keine Versuche unternommen, Gitti jünger erscheinen zu lassen oder, etwa in der Postproduktion, ihre Falten zu kaschieren – im Gegenteil, die körperlichen Anzeichen ihres Alters sind klar sichtlich und grenzen sie somit von allen anderen weiblichen, jüngeren Figuren in diesem Film ab. Besonders auffällig betont wird dieser Kontrast durch Lucia und Mona, die Partnerinnen ihres Ex-Mannes und Sohnes. Wie das oben gezeigte Bild auch ohne den narrativen Kontext auszudrücken vermag, wird Jugend und eine Konformität mit westlichen Schönheitsidealen in dieser Diegese mit der Möglichkeit auf heterosexuelle Bindung gleichgesetzt, während der ältere weibliche Körper letztlich doch im Hintergrund bleibt und lediglich eine mütterliche Hand auf die Schulter des Sohnes legt. Drehbuch und Dramaturgie stehen also in einem gewissen Widerspruch zueinander. Zwar sehen wir Gitti beim Sex, allerdings wird ihr Erzählstrang auch immer wieder von Einblicken in die Intimität der anderen beiden Paare durchschnitten, was an sich keine erzählerische Funktion erfüllt, aber wieder eine Vergleichsfläche bietet, auf der normative junge Körper neben dem vermeintlich „abnormalen“ alten Körper stehen.
Jenes „knowledge of a youthful norm“, von dem Dolan schreibt, wird gezielt innerhalb des Filmes dargeboten. Gitti scheint die gesellschaftlich vermittelten Komplexe bezüglich ihres Aussehens bereits verinnerlicht zu haben, im Camp etwa vergleicht sie selbst heimlich ihren Körper mit dem der trainierten jungen Stunt-Frau Silvia. Auf einer Scheinebene wird mit diesen Ängsten zwar aufgeräumt, doch bildlich wird den Zuschauenden stets eine Möglichkeit für den pathologischen Blick geboten. Was diese Tendenz noch verstärkt ist die Art, wie allein Gittis Figur oft mit dem Ekelerregenden assoziiert wird. Beispielsweise sehen wir recht graphisch, wie sie sich auf dem Weg in den Wald mit der Survival-Truppe übergibt. Es folgen ein redundantes Close-up von einer entzündeten Blase an ihrem Fuß, eine Käfersuppe im Camp und etliche, von Gitti aufgetragene Fakten über Guineawürmer, die man mit einem Stock aus eitrigen Wunden ziehen muss (ein Fachwissen, das sie sich durch ihre langjährige Arbeit als Fachbuch-Lektorin verschafft hat). Problematisch ist, dass es gleich nach dem ersten Kuss mit Gregor wieder– wenn auch spaßhaft – um Wunden und Parasiten geht. Durch diese Verbindung mit dem Morbiden und der Pathologie wird Gitti den Zuschauenden auf Distanz gehalten und in ihrer Sexualität noch weiter entfremdet und als normabweichend skizziert.
Auf interessante Weise plädiert dieser Film also auf narrativer Ebene für eine Identifikation mit älteren Frauen und unterstützt Gittis Weg zur Selbsterfüllung, rein bildpolitisch jedoch bleibt sie mit ihrer Körperlichkeit immer eine Ausnahme neben der Norm jüngerer weiblicher Körper, was eine pathologische Sichtweise ermöglicht.
Venus im vierten Haus hinterlässt also einen sehr zwiespältigen Eindruck, denn durch die überzeugende Darbietung von Neuhauser wird Gittis lebensbejahender Neuanfang auf eine durchaus ermutigende Art und Weise begleitet. Dennoch kreist in diesem Film scheinbar alles um das Aussehen der Frau und die damit einhergehende männliche Aufmerksamkeit, was Gittis inneren Prozess schließlich negiert und untergräbt.
Autor: Joana Furthmann, Freie Universität Berlin
- Referenz: Dolan, Josephine. „Smoothing the Wrinkles; Hollywood, “Successful aging” and the new visibility of older female stars”. In: Carter, Steiner, McLaughlin (Hg.). The Routledge Companion to Media and Gender. 2013. New York/London: Routledge,
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